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AutorenbildDaniel Neuhaus

Die Geschichte des Face Readings

Aktualisiert: 1. Aug.

Face Reading ist keineswegs eine neue Erfindung, sondern wir kommen mit dieser Fähigkeit auf die Welt. Von Geburt an lesen wir als Baby in den Gesichtern unserer Eltern und anderen Bezugspersonen.


Wusstest du, dass die 43 Muskeln in unserem Gesicht, die an der Mimik beteiligt sind, über 10.000 Gesichtsausdrücke kreieren können, von denen jeder eine andere Bedeutung hat?

In unserem Gehirn gibt es sogar einen eigenen Bereich, der ausschließlich damit beschäftigt ist, Mimik zu interpretieren und Gesichter einzuordnen - das "Fusiforme Gesichtsareal (FFA)"


Inhaltsverzeichnis



Face Reading: Jeder Mensch beherrscht es


Im Grunde kommen wir als Gesichtleser auf die Welt. Als Baby bleibt uns nichts anderes übrig, als stetig die Gesichtsausdrücke der Menschen um uns herum zu interpretieren, da wir der Sprache noch nicht mächtig sind. Jede und jeder von uns hat eine natürliche Gabe, über unsere Mimik mit unseren Mitmenschen zu kommunizieren.

Sobald wir unsere Muttersprache erlernen und erste gesellschaftliche Prägungen erfahren, desto mehr verlernen wir unsere natürliche Fähigkeit des Face Reading. Je älter wir werden, desto mehr Aufmerksamkeit schenken wir unserem Verstand. Oftmals rücken unsere Intuition und unsere Emotionen in den Hintergrund.

Am Anfang war das Face Reading

Wenn wir zurück in die Geschichte blicken, stellen wir fest, dass die Menschen viele Jahrtausende komplett ohne Sprache überlebten. Doch wie kommunizierten diese Menschen? Ganz einfach, sie nutzten das Face Reading.

Indem Menschen sich gegenseitig ins Gesicht blickten, konnten sie erkennen, welche Absichten das Gegenüber hatte und in welchem Gemütszustand er oder sie sich befand. Es war essentiell, in kurzer Zeit zu erkennen, ob jemand beispielsweise krank, wütend, traurig, fröhlich oder verliebt aussah.


Was das "Fusiforme Gesichtsareals (FFA)" in unserem Gehirn mit Face Reading zu tun hat

Die Verarbeitung von Gesichtsausdrücken (Mimik) und die Unterscheidung von Emotionen erfolgen hauptsächlich in verschiedenen Bereichen unseres Gehirns, darunter das limbische System, insbesondere die Amygdala, sowie die Großhirnrinde mit spezifischen Arealen wie dem Fusiformen Gesichtsareal (FFA).


Im Verlauf der menschlichen Entwicklung kam nach vielen Jahrtausenden die Sprache hinzu und entwickelte sich allmählich parallel zur bisher vorherrschenden mimikbasierten Kommunikation. Dieser Prozess führte zu kontinuierlichem Fortschritt in der Sprache, begleitet von einer zunehmenden Bedeutung und Einflussnahme – nicht nur in Bezug auf unsere Ausdrucksweise, sondern auch auf unsere Fähigkeit, in Gesichtern zu lesen. Diese Entwicklung führte dazu, dass unsere Fähigkeit, die Mimik unseres Gegenübers treffsicher zu lesen, im Laufe der Zeit immer weiter abnahm. Studien zeigen, dass die durchschnittliche Mimikerkennungsfähigkeit heute bei nur noch etwa 60 Prozent liegt.


Erst ca. 35000 Jahre später erinnerten sich die damaligen Hochkulturen an das ursprüngliche Wissen. Sie begannen damit, Gesichter systematisch zu deuten und die Erkenntnisse zu notieren. In China wurde das Face Reading so erfolgreich, dass es stetig verfeinert und an Schulen gelehrt wurde und bis heute gelehrt wird – und zwar keineswegs als simple Technik oder abstrakte Kunst, sondern als ernstzunehmende Wissenschaft.

Wie der Stand der heutigen Wissenschaft zu diesem Thema ist, erfährst du weiter unten in diesem Artikel.

Face Reading "Siang Mien" bzw. "Mian Xiang"

Wenn du dich bereits mit dem Face Reading beschäftigt hast, ist dir vielleicht schon mal der Begriff "Siang Mien" oder "xiāng miàn" (面相) begegnet. Dieser bezieht sich auf das Gesichtslesen im Chinesischen. Zusammen ergibt sich die Bedeutung von "xiāng miàn" als "Gesichtslesen" oder "Analyse des Gesichts". Da "Siang Mien" eine Transkription des Begriffs in eine westliche Sprache ist, gibt es keine einheitliche Schreibweise in chinesischen Schriftzeichen.


"Mien" bedeutet "Gesicht" und wird als 面 (miàn) oder 面貌 (miànmào) geschrieben. - "Siang" bedeutet "Lesen" oder "Interpretieren" und wird als 相 (xiāng) geschrieben.

Leider lässt sich der Ursprung des chinesischen Face Reading nicht mehr genau datieren. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass er mehr als 3.000 Jahre zurückliegt.

Konfuzius


Der große Philosoph Konfuzius lebte 551 bis 479 vor Christus. Zu dieser Zeit war die Wissenschaft des chinesischen Face Reading Siang Mien bereits ausgereift. Über Generationen hinweg wurde die Kunst des Gesichtlesens als strenges Geheimnis gehütet, das vom Lehrmeister an seine Schüler weitergegeben wurde.


Ein Kind kann nichts für sein Gesicht, ein Erwachsener aber ist selbst verantwortlich für sein Aussehen! - Konfuzius

Der Kaiser & seine Angst vor dem Face Reading


Zur gleichen Zeit wurden die vielfältigen Weisheiten des Face Reading in den Siang Mien Büchern verewigt. Dem Kaiser Qin Shi Huang Di | 秦始皇帝, der als „Erster erhabener Gottkaiser von Qin“ bezeichnet wurde, waren diese Bücher ein Dorn im Auge.

Niemand sollte in der Lage sein, den Kaiser durch das Face Reading als den bösartigen und hinterlistigen Tyrannen zu entlarven, der er war. Kurzerhand ordnete er an, unzählige kostbare Schriften aus der Zeit von Konfuzius verbrennen zu lassen. Dies zeigt deutlich, wie sehr die damaligen Herrscher Chinas von der Kunst des Facereading beeinflusst waren.


Im Jahr 221 vor Christus beherrschte Kaiser Qin Shi Huang Di das Reich der Mitte. Er stammte aus Qin, das seit 288 vor Christus als eines der größten und wohlhabendsten chinesischen Reiche galt.


Bewusste Malerei-Täuschung


Auch die damalige Tradition, sich von einem Hofmaler porträtieren zu lassen, umging Kaiser Qin Shi Huang. Zu groß war seine Angst, dass jemand seinen wahren Charakter erkennen könnte.


Stattdessen gab er die Anweisungen, ein völlig anderes Bild von ihm anzufertigen. Darin wurden sämtliche glücksverheißenden Merkmale im Gesicht verewigt, um seinen Untertanen Güte und Wohlwollen vorzugaukeln.


Nach seinem Tod wurde für Kaiser Qin Shi Huang Di eines der größten Mausoleen Chinas errichtet, Heimat der weltbekannten mehrtausendköpfigen Terrakotta-Armee. Interessant ist, dass jede einzelne Figur individuelle Gesichtszüge aufweist.

Die Verbrennung der Face Reading Bücher führte dazu, dass ein Großteil des existierendes Wissen über Siang Mien nur noch mündlich überliefert werden konnte. Ergänzt wurde es durch die Erkenntnisse von Siang Mien Meistern. Diese bereisten die Welt, um die Gesichter anderer Kulturen zu erforschen.


Face Reading in anderen Kulturen


Zwar hat China die längste Tradition im Face Reading, es ist aber keine rein asiatische Wissenschaft. Auch in unserer Kultur war die Kunst des Face Reading bekannt. Im Mittelalter wurden derartige Schriften und Aufzeichnungen jedoch von der Kirche als Hexerei und Magie bezeichnet und dem Feuer übergeben.


In der Schrift der alten Ägypter, den Hieroglyphen, wird das Face Reading ebenfalls erwähnt. So liest dort beispielsweise ein Gesichtleser den Pharao. Viele weitere Kulturen, unter anderem in Südamerika, nutzten das Face Reading, um Rückschlüsse aus dem menschlichen Gesicht zu ziehen.


Die Griechen fokussierten sich auf die Antlitzdiagnostik, bei der es um die Entschlüsselung von gesundheitlichen Themen geht. Auch in Indien gibt es eine Jahrtausende alte Geschichte des Face Reading.

Teildisziplinen des Face Reading


  • Antlitzdiagnostik: Die Antlitzdiagnostik wird auch Sonnerschau genannt und ist die Lehre von Krankheitszeichen im Gesicht.

  • Physiognomik: Die Physiognomik beschäftigt sich mit Persönlichkeits- und Charakterzügen eines Menschen.

  • Mimikresonanz: Hier werden die Emotionen des Gegenübers gelesen - "Mimik lesen"

  • Lectura del Rostro: Diese Technik aus Südamerika legt ihren Schwerpunkt auf das Entschlüsseln von Liebeszeichen.

Hippokrates – Begründer der Pathophysiognomik


Als Begründer der Pathophysiognomik gilt Hippokrates, der von 460 bis 375 vor Christus gelebt habt.


Das griechische Wort Pathophysiognomik setzt sich wie folgt zusammen:


»pathos« = Leiden

»physis« = Körper

»gnome« = Kennzeichen


Hippokrates fragte sich, wie das Aussehen eines Menschen mit seinen inneren Prozessen zusammenhängt. Dabei blickte er mit viel Liebe auf den Menschen und erforschte die Zusammenhänge, die die Grundlage der Pathophysiognomik bildeten.

Aristoteles & Gelenus – frühe Face Reader

Auch Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) und Platon (427 – 347 v. Chr.) hatten ein tiefes Wissen der menschlichen Natur. Aus dieser Zeit entstammen viele Aufzeichnungen, die sich mit dem Zusammenhang zwischen dem äußeren Erscheinungsbild und der Persönlichkeit eines Menschen beschäftigen.

500 Jahre später übernahm Gelenus, der im Jahr 129 bis 210 nach Christus gelebt hat, die Physiognomik von Aristoteles. Als praktizierender Arzt waren ihm die Aufzeichnungen überaus nützlich.

Physiognomik – eine Form des Face Reading


»physis« = Körper

»gnomikos« = zur Beurteilung fähig


Über die Griechen und die Römer gelangte das Face Reading immer mehr in unseren Kulturkreis.


Im Mittelalter waren Hildegard von Bingen (1098-1197) sowie Paracelsus (1453-1541) der Auffassung, dass sich innere Zustände des Körpers auch im Außen spiegeln. Der bekannte Spruch „die Augen sind das Tor zur Seele“ stammt von Hildegard von Bingen.

Johann Batista della Porta (1535-1615) geht in seinem Werk „De Humana Physiognomonia“ vom ganzen Menschen und seinen nach außen gerichteten Organen aus. Seiner umfassenden Betrachtung von Mensch und Tier liegt eine enge Beziehung zwischen Seele und dem Körper zugrunde.


Sein Werk gilt als wichtiges Fundament für die Entwicklung der Physiognomik und der Antlitzdiagnostik.

Face Reading in der Renaissance

Zudem führten bekannte Künstler der Renaissance wie Raffaello Santi, Michelangelo Buonarotti und Leonardo da Vinci ausgiebige Studien zu dem Thema.


Mit dem Zeitalter der Romantik wurde die Physiognomik in Europa bekannter und erweckte das Interesse junger Naturwissenschaftler. Auch in der Kunst-Szene entbrannte Interesse für das Thema. Je mehr Begeisterung die Physiognomik erweckte, desto stärker wurde die Kritik daran.

Lavater & die Physiognomik

Der charismatische Pfarrer Johann Caspar Lavater (1741-1801) war damals eine anerkannte und geschätzte Persönlichkeit. Zu seinem Freundeskreis zählten Gelehrte, Staatsmänner, Schriftsteller, Fürsten, Ärzte und Künstler. Sein Fokus lag klar auf der Nächstenliebe, was einen völlig neuen Aspekt in die Physiognomik brachte.

Mit seiner Schrift „Physiognomische Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe” löste er einen regelrechten Hype aus.


Lavater galt als „Gefühlsphysiognom“ und war bekannt dafür, hohe Ansprüche bezüglich der Beobachtung und analytischen Wahrnehmung zu stellen. Auch das vergleichende und logische Denken sowie das Gedächtnis waren ihm wichtig.

Face Reading & Goethe

Ein weiterer bekannter Unterstützer der Physiognomik war Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), auch wenn er anfangs als Kritiker bekannt war. Später vollendete er sogar das vier Bände umfassende Werk „Physiognomische Fragmente“ von Johann Caspar Lavater“.


Ein bekanntes Zitat von Goethe: “Das Innere eines Menschen offenbart sich in seinem Äußeren"

Weitere bekannte Unterstützer der Physiognomik waren die Philosophen Leibnitz, Kant, Schopenhauer und Schelling, der Staatskanzler Hardenberg sowie der Arzt und Dichter Schiller. In den Kreisen der Gelehrten wurde das Thema Physiognomik zur damaligen Zeit rege diskutiert.


Franz Josef Gall & seine falsche These


Durch den Arzt und Forscher Franz Josef Gall (1758-1828) geriet die Physiognomik leider in Verruf. Er nahm irrtümlicherweise an, dass Verbrecher an der Form ihres Schädels erkannt werden können. Zuvor forschte er intensiv an der Verbindung zwischen dem Verhalten von Mördern und ihrer Körperform sowie ihrer Anatomie.


Kleiner Exkurs: In den 20er und 30er Jahren fielen parawissenschaftliche Lehrsätze dieser Art erneut auf fruchtbaren Boden, bevor sie in der Zeit des Nationalsozialismus verstärkt von der Genetik abgelöst wurden. Lange Zeit war die Erblehre, Eugenik und Rassenhygiene die rassistische Leitdisziplin.

Carl Gustaf Carus & der goldene Schnitt


Der Dresdner Arzt Carl Gustaf Carus (1789-1869) sorgte mit der Entwicklung des goldenen Schnitts dafür, dass die Physiognomik einfacher gelehrt werden konnte. Er bezog sich auf die Symbolik des menschlichen Körpers und bezog die Körpermaße in seine physiognomischen Betrachtungen mit ein.

Schüßler & die Sonnerschau


Wilhelm Heinrich Schüßler (1821–1898) begründete außerhalb der medizinischen Wissenschaft eine eigene Form der Therapie. Er besaß ein umfangreiches Wissen über die Antlitzanalyse, die auch Sonnerschau genannt wird.


In über 30 umfangreichen Büchern machte er deutlich, dass Gesichter aussagen, wie es um den Bedarf an Mineralstoffen bestellt ist. Sein Hauptwerk ist das Buch „Menschenkenntnis, Körperformen und Gesichtsausdruckskunde“. Noch heute sind die Schüßler-Salze in der Homöopathie weit verbreitet.

Huter – Begründer der Psycho-Physiognomik


Zur gleichen Zeit fand Carl Heinrich Conrad Huter (1861-1912) seinen Lebensinhalt darin, die Physiognomik zu erforschen. Der Begründer der Psycho-Physiognomik entwickelte als Erster ein erlernbares System und eine verständliche Struktur, die bis heute angewendet wird.

Die Psycho-Physiognomik besagt, dass Menschen je nach Körperform und Ausdruckszonen im Gesicht einen gewissen Charakter mitbringen. So deuten Falten beispielsweise auf den Lebenswandel und häufig erlebte Emotionen im Leben des Meschen hin. Besonderes Augenmerk legte Huter zudem auf die Bildung von Glanz, unterschiedliche Farbschattierungen sowie Verfärbungen im Gesicht.

Face Reading und die Wissenschaft heute

Gesichtlesen hat mittlerweile Einzug in die Forschung gehalten. Aktuell werden verschiedene Studiendesigns vorbereitet und entwickelt, um diese jahrtausendealte Erfahrungswissenschaft durch zeitgemäße Studien zu unterstützen und zu untersuchen. Nähere Informationen zu diesem Thema erwarten euch in Kürze hier auf meiner Webseite.

In welchen Bereichen lässt sich Facereading anwenden?


  • zur Persönlichkeitsanalyse

  • zur Ermittlung der eigenen Stärken

  • Entdecken von Talenten & Potentialen

  • im Recruiting

  • in Verhandlungen

  • beim Teamaufbau

  • bei Einstellungsgesprächen

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